7. Treffen

7. Diskussionsrunde
des Arbeitskreises Policey/Polizei im vormodernen Europa
am 10. Juni 2004

Stadtherrschaft, Policey und die soziale Ordnung
in einer urbanen Gesellschaft der Vormodern

Programm

14.00 Beginn
Begrüßung und Vorstellungsrunde

Sigrid Schieber (Gießen):
„Wie armselig siehet doch die arme Stadt in Policey-Sachen aus“. Die Wetzlarer Policey unter dem Einfluß der verschiedenen städtischen Interessengruppen (17./18. Jahrhundert).

Lars Behrisch (Bielefeld):
Sozialkontrolle und Obrigkeit: Görlitz 1450-1600.

Kaffeepause

Jakob Michelsen (Hamburg):
Sodomie und städtische Ordnung in der Frühen Neuzeit – das Beispiel Hamburg.

Philip R. Hoffmann (Konstanz):
Zur Erhaltung guter Ordnung und Ehrbarkeit. Handwerkspolicey als Feld städtischer Ordnungspolitik in der Frühen Neuzeit. Leipzig und Lübeck im Vergleich.

Astrid Küntzel (Freiburg):
Die Überwachung von Fremden in Köln im 18. Jahrhundert. Normen und Wirklichkeit in einer freien Reichsstadt.

als e-Publikation: PoliceyWorkingPaper 9 (2005)

Diskussion des Themas für das Treffen im nächsten Jahr.

Ende gegen 18.00

Themenexplikation

Die Produktion und Reproduktion von „Ordnung“ in all ihren konkreten Ausformungen ist einer der zentralen Gegenstände von Policey, sei es durch Legislation, administrative Tätigkeit oder in der Rechtsprechung. „Ordnung“ wird hierbei als diskursives und flexibles Geflecht von Normen unterschiedlicher Provenienz (informelle Übereinkunft, Brauch, Satzung, Gesetz) aufgefaßt und nicht als ein starres System gesellschaftlicher Beziehungen. Denn in den städtischen Gesellschaften der frühen Neuzeit waren verschiedene Akteure mit verschiedenen Interessen und unterschiedlichen Machtchancen an der Gestaltung und Aneignung von sozialer Ordnung beteiligt. Das macht sie zu einem interessanten Gegenstand auch der Forschung zur vormodernen Policey und Polizei. Auf der Tagung soll vor allem die sich während des Ancien Régime verändernde Rolle der verschiedenen Akteure (Krone bzw. Territorialherr und die zentrale Verwaltung, Ratsgremien, Patriziat und städtische Elite, lokale Notabeln und die Verwaltung von Stadtvierteln, lokale Gemeinschaften und Zünfte, Gerichte verschiedener Ebenen, verschiedene Gruppen der urbanen Bevölkerung) zum Gegenstand gemacht.

In einigen Städten besaß der kleine Rat eine weitgehende Gesetzgebungskompetenz, die allerdings zumeist in enger Konsultation mit verschiedensten Korporationen und sozialen Gruppen in der Stadt wahgenommen wurde. In anderen Städten war es vor allem der Landesfürst oder die Krone, die für die normativen Vorgaben verantwortlich war. Unabhängig davon waren in den meisten Städten Notabeln, Korporationen und städtische oder territoriale Beamte an der Vermittlung und Ausgestaltung von Herrschaft und sozialer Ordnung beteiligt. Darüber hinaus wurden die in Gesetzen und Anordnungen formu lierten Ordnungsinteressen der Herrschaft von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in der Stadt auf sehr verschiedene Weise angeeignet, indem sie bei der Umsetzung Einfluß auf die lokalen Beamten nahmen, Normen ignorierten oder bei Konflikten der Herrschaft gezielt Informationen zukommen ließen bzw. vorenthielten. Neben der Legislation sollte deshalb in den Beiträgen Aneignungsprozessen und informellen Ordnungsdiskursen und Ordnungspraktiken große Beachtung geschenkt werden.

In diesem gesellschaftlichen Feld aus Herrschaftsinteressen, normativen Vorgaben, Vermittlung und Aneignung entstand eine Ordnung, die im Alltag immer wieder reproduziert werden mußte und in der die sozialen und ökonomischen Beziehungen der Stadtbewohner untereinander und zur Herrschaft geregelt wurden. Nicht nur durch Normgebung, auch durch administrative Entscheidungen und die Kompetenz zur Konfliktregelung bildete Policey ein wesentliches Element in diesem durch Herrschaft und verschiedenen Interessen strukturierten sozialen Raum, der näher zu bestimmen wäre.

Zugrundegelegt wird hierbei ein Modell urbaner Entwicklung, das die Prozesse der Staatsbildung und der Zentralisierung politischer Kompetenzen berücksichtigt. Es wird davon auszugehen sein, daß die Ordnung in den Städten am Ende des Mittelalters einerseits eher autonom festgelegt wurde und daß sie andererseits mehr als in späteren Jahrhunderten auf breite Konsensbildung ausgerichtet war, wozu auch die auf der städtischen Miliz und den bewaffneten Bürgern beruhende Militärverfassung beitrug. Die städtische Obrigkeit und die sie dominierenden sozialen Gruppen beschränkten sich weitgehend darauf, ihren Status gegen konkurrierende Gruppen und Revolten zu verteidigen und ansonsten die in Korporationen und lokalen Gemeinschaften ausgeübte soziale Kontrolle zu unterstützen, indem die von ihnen besetzten oder eingesetzten Gerichte Devianz bestraften und Konfliktfälle entschieden. Soziale Ordnung wurde durch Machtverhältnisse strukturiert, in sozialen Beziehungen vermittelt und durchgesetzt, und durch Gerichte garantiert und überwacht.

In der späteren Phase geriet die Herrschaft in den meisten Städten, soweit sie nicht selbst das umliegende Territorium zu dominieren vermochten und souveränen Status erhielten, unter den zunehmenden Einfluß der entstehenden Staatsgebilde. Damit verbunden war ein Machtverlust der städtischen Eliten, die den Status autonomer Herrschaft verloren und deren Gerichtsgremien in einen Instanzenzug eingebunden wurden. Das hatte auch Auswirkungen auf die Art und Weise, in der sich die soziale Ordnung in den Städten etabliert hatte. Nicht nur die Normgebung wurde zunehmend von zentralen, stadtfernen Institutionen ausgeübt, auch das System sozialer Kontrolle veränderte sich, da die zentralisierte Herrschaft den städtischen wie den lokalen und korporativen Mechanismen gegenseitiger Überwachung und Konfliktbereinigung zunehmend mißtraute und die darin formierte Macht, die sie als Konkurrenz empfunden wurde, mißtrauisch überwachte. Gegen Ende der frühen Neuzeit neigten städtische Obrigkeiten eher dazu, soziales Verhalten aktiv zu überwachen, statt passiv auf Klagen zu warten, und sie installierten zu diesem Zweck immer größere Überwachungsapparate, aus denen sich später die Polizei und Teile der staatlichen Innenverwaltung entwickelten. Diese Veränderung markiert den Übergang von der Policey, einer auf dem Handeln vieler Instanzen beruhende Praxis städtischer Herrschaft, zur Polizei, einer zentral gelenkten obrigkeitlichen Behörde mit weitreichenden exekutiven Vollmachten.

Erwünscht sind Beiträge zu vier Themenkomplexen:

1. Akteure und Praxis der Policey

In diesem Themenfeld sollen die Akteure und Instanzen beleuchtet werden, die an der Ausübung von Herrschaft und der Reproduktion von sozialer Ordnung beteiligt waren. Hier stehen sich einerseits Akteure der politischen Zentrale (Krone oder Territorium) und Instanzen städtischer Herrschaft gegenüber, deren Verhältnis es zu beleuchten gilt. Andererseits ist deren Verhältnis zu Korporationen (Zünfte, Gilden etc.) und lokalen Gemeinschaften (Nachbarschaften, Kirchengemeinden, etc.), zu Bürgern und Einwohnern zu beleuchten. Welchen Einfluß besaßen diese auf verschiedenen Ebenen angesiedelten Akteure auf das Entstehen und die Tradierung von städtischer Ordnung? Außerdem sollte den Stadtvierteln und ihrer Rolle innerhalb der Stadt Aufmerksamkeit geschenkt werden.

2. Instanzen der Normsetzung

In diesem Themenbereich wird gefragt nach dem Entstehen städtischer Normen. Wie wurden obrigkeitliche Normen erlassen und wie wurden sie angeeignet? Welche informellen Prozesse der Normbildung gab es und welchen Einfluß hatten sie auf die soziale Ordnung in einer Stadt? Welche Akteure waren in welcher Weise an der Entstehung von Normen beteiligt? Welche Ordnungsdiskurse lassen sich im städtischen Kontext fassen und beschreiben? Wie wurden Konflikte zwischen unterschiedlichen Normengefügen (informelle Übereinkunft, Brauch, Satzung, Gesetz) beseitigt?

3. Formen der Verhaltenskontrolle

In diesem Bereich soll die Frage nach der Durch- und Umsetzung von Normen behandelt werden. Wer überwachte das Verhalten anderer mit welchem Interesse? Welche obrigkeitlichen Instanzen waren mit der Überwachung beteiligt und mit welcher Zielstellung? Welche informellen Strukturen bestanden im Alltag – neben dem Ehrdiskurs – zur Durchsetzung normgerechten Verhaltens und auf welchen Interessen basierten sie? Wie verlief die Kooperation zwischen formalisierten und informellen Prozessen der Normdurchsetzung?

4. Entwicklungen, Konstellationen und Netzwerke der Macht

In diesem Themenkomplex soll es vor allem um die Veränderung urbaner Machtstrukturen im Prozeß der Zentralisierung gehen. Gab es Gewinner innerhalb der Stadt? Welche waren die Verlierer? Welchen Einfluß hatte die zunehmende Machtverlagerung politischer und gerichtlicher Kompetenzen hin zu zentralen Instanzen auf das Geflecht familiär und korporativ organisierter Machtbeziehungen? Welche Auswirkungen hatte der Machtverlust städtischer Eliten und lokaler Notabeln auf ihrer Fähigkeit, im Alltag Abhängige und Untergebene zu überwachen und diese soziale Kontrolle auch durchsetzungsfähig zu machen?

Für den Arbeitskreis

Gerhard Sälter

Stadtherrschaft, Policey und die Ordnung einer urbanen Gesellschaft der Vormoderne
– eine selektive Literaturliste –

Vorbemerkung: Es handelt sich tatsächlich um eine selektive Zusammenstellung, wie sie ohne systematisches Bibliographieren bei der Durchforstung des Gedächtnisses und der Dateien entsteht. Sie ist nicht auf Vollständigkeit abgestellt, sondern dafür konzipiert, möglichst alle Aspekte des Themas zu berücksichtigen. Sie wurde zusammengestellt als Hilfestellung der Referenten und Teilnehmer in der Vorbereitung der 7. Tagung des Arbeitskreises Policey/Polizei im vormodernen Europa im Juni 2004.

Literaturliste zum Download

Gerhard Sälter

Tagungsberichte zur 7. Diskussionsrunde

Tagungsbericht vom 07.09.2004 (Aline Steinbrecher) bei der Historikermailingliste H-SOZ-KULT.