4. Treffen

4. Diskussionsrunde
des Arbeitskreises Policey/Polizei im vormodernen Europa
am 10. Mai 2001

Gute Policey und Ökonomie.
Haushalten als Handlungskonzept in verschiedenen sozialen Räumen

Programm

Christof Jeggle, Berlin:
Leineweberhaushalte in Münster/Westfalen im 17. Jahrhundert. Konzeptionelle Überlegungen und Forschungsbefunde.

Anke Sczesny, Augsburg:
Ländliche Weberhaushalte in Ostschwaben und das Problem der Garnversorgung (17. Jahrhundert)

Publiziert als: Anke Sczesny: Das Problem der Garnversorgung in den ländlichen Weberhaushalten Ostschwabens, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 66 (2003), S. 495-517.

Margareth Lanzinger, Wien:
„Als Curatoren zu verpflichten und denenselben einfüglich die ganze Haus Manega zu allseitig besserer Ersprisloskeit anzuvertrauen …“ (18. Jahrhundert)

als e-Publikation: PoliceyWorkingPapers 6 (2003)

Torsten Meyer, Cottbus:
Naturale und soziale Esistenzbedingungen des Gewerbes (Arbeitstitel)

Themenexplikation

Der mit diesem Titel angesprochene Themenbereich umfaßt prinzipiell das ganze Spektrum der Führung eines Haushalts in Spätmittelalter und in der Frühneuzeit, unabhängig von Status, Geschlecht, Konfession und Bildung eines Haushaltsvorstands. Insofern rücken potentiell alle gesellschaftlichen Gruppen der ständischen Gesellschaft in das Rampenlicht unseres Interesses.

Die Haushaltsführung soll zwar nicht aus der Perspektive der antiken Oeconomia bzw. der frühneuzeitlichen Hausväterliteratur in den Blick genommen werden, wonach die Autarkie, also die Unabhängigkeit von Märkten, als Ideal und anzustrebendes Ziel galt. Aber diese normative Vorstellung einer guten Hauswirtschaft wurde z.T. maßgebend für die von Kameralisten und Policeywissenschaftlern im deutschsprachigen Raum seit dem 17. Jahrhundert entworfenen volkswirtschaftlichen Systeme. Kennzeichnend für diese Systeme ist in der Regel eine starke Stellung von Fürsten bzw. von Stadtobrigkeiten, die im Sinne eines Haus- bzw. Landesvaters regulierend in soziale und wirtschaftliche Vorgänge eingreifen sollten. Dieses Prinzip autoritativer Sozial- und Wirtschaftsregulierung diente zum einen der Abwendung von Versorgungskrisen bzw. Förderung der Stadt- und/oder Territorialwirtschaft. Zum anderen war es von ständischen und korporativen Vorstellungen Alteuropas geprägt, wonach die ‘Nahrung’ jedes Standes bzw. jeder Korporation erhalten, gegebenenfalls gefördert werden sollte, gemäß der Idee des suum cuique.

Diese im deutschsprachigen Raum weitverbreitete Vorstellung obrigkeitlicher Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen schlug sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in einer Fülle von Verordnungen nieder. Nach diesen legislativen Vorgaben wurde in wachsendem Maße in die lokale Ordnung von Ämtern, Städten, Dörfern, Bauernschaften und Haushalten regulierend eingegriffen und damit Herkommen, Gewohnheiten, Bräuche, kurzum Traditionen, auf den Prüfstand gestellt. Kriterien für die Beurteilung lokaler Gewohnheiten im Sozial- und Wirtschaftsverhalten waren z.B. die Offenlegung der Rechnungsführung, um erstmalig einen Überblick von Einnahmen und Ausgaben vor Ort zu erhalten. Andere Regularien betrafen die bisher üblichen Formen der Bewirtschaftung von Böden, Wäldern, Gewässern und die Nutzung von Bodenschätzen. Diese obrigkeitlichen Bemühungen um Registratur, Kontrolle und Lenkung lokaler Wirtschaftspraktiken wurden von manchen ständisch-korporativen Gruppen begrüßt, wenn sie sich hiervon Vorteile versprachen, von anderen wurden sie hingegen unterlaufen, kritisiert oder offen abgelehnt, die ihre Gerechtsame gefährdet sahen.

Diese tendenzielle Entsolidarisierung lokaler Gemeinschaften anläßlich obrigkeitlicher Eingriffe verweist auf einen strukturellen Wandel im 17. und 18. Jahrhundert, dem die weitgehend ländlichen Gesellschaften ausgesetzt waren. Zu den diesen Wandel induzierenden dynamischen Kräften sind u.a. ein stetiges Bevölkerungswachstum, soziale Differenzierung bzw. Polarisierung,Verdichtung von Marktverhältnissen und Vergewerblichung des Landes zu zählen. Auf diese Prozesse und die damit verbundenen sozialen Konflikte und Wirtschaftskrisen sowie erste Anzeichen von Pauperisierung reagierten die Obrigkeiten mit einer vor allem im 18. Jahrhundert expandierenden Policeyverwaltung, die mit den ihnen auferlegten Aufgaben aber in der Regel überfordert war. Dies resultierte nicht zuletzt aus Zielkonflikten innerhalb der Stadtobrigkeiten und Territorialregierungen, die einerseits die Wohlfahrt der Bürger und Untertanen verbessern, andererseits höhere Steuereinnahmen erzielen wollten.

Auch bisher privilegierte Gruppen, wie Patrizier und Adlige, aber auch Geistliche gerieten in das Fadenkreuz der neuen Policeyverwaltungen, insofern die Nützlichkeit ihrer Existenz und ihres Sozial- und Wirtschaftsverhaltens von den kameralistisch geschulten Amtsträgern thematisiert wurden. Es stellt sich die Frage, wie diese ständisch bevorrechtigten Gruppen auf den moralischen Druck und die ökonomischen Disziplinierungsbemühungen z.B. gegenüber ihrem kosumtiven Verhalten reagierten.

Zu verschiedenen der hier angesprochenen Aspekte sind Referate denkbar:

  • Art und Weise der Haushaltsführung verschiedener Gruppen. Frage nach den Schwerpunkten produktiver und konsumtiver Ausgaben? Rolle von Festen? Art und Weise von Investitionen in Haushalte? Formen des Sparens, der Risikostreuung oder des gezielten Eingehens von ökonomischen Risiken?
  • Welche Verhaltensweisen wurden gerügt (z.B. Faulenzer, Säufer, übler Haushalter, Verschwender) und bei welchen Gruppen?
  • In welchen Konstellationen traten lokale Konflikte auf? Wer beteiligte sich hieran? Inwiefern waren Amtsträger hierin involviert und warum?
  • Wann und wie traten Obrigkeiten auf den Plan? Welcher Instrumentarien bedienten Sie sich? Gibt es Strategien des divide et impera?
  • Wie, wann und welche Normen setzten sich im Verwaltungshandeln zwischen Hausvätern/Hausmüttern, dörflichen Selbstvertretungsgremien, lokalen Bediensteten des Landesherrn und Amtleuten durch?
  • In welchen Bereichen des Alltags sind Strategien sozialer und ökonomischer Kontrolle in Dörfern und in Städten erkennbar, die kollektive Bewirtschaftungsformen von Ackerland, Weide und Wald begünstigten bzw. Individualisierungsbestrebungen unterbinden wollten?
  • Lassen sich frühmoderne ‘ökologische’ Vorstellungen zum Schutz des Waldes, der Gewässer und der Tiere beobachten, z.B. vor dem Hintergrund extensiv betriebener fürstlicher Jagdleidenschaft oder aber infolge fiskalischer Nutzung des Waldes?
  • Wie sah die konkrete Ausgestaltung der Policeyverwaltung vor Ort aus? Welche älteren Formen von Aufsicht und Kontrolle auf dem Land, in Dörfern und Städten wurden aufgegriffen oder überlagert oder verdrängt?
  • Welcher Instrumentarien (Strafe, Belohnung, Förderung) bedienten sich diese Policeyverwaltungen und gegen wen?
  • Wer begrüßte diese neuen Behörden und Ämter? Wer lehnte sie ab und warum?

Für den Arbeitskreis:
Frank Konersmann

Eine Auswahlbiographie zum Thema hat freundlicherweise André Holenstein zur Verfügung gestellt (Word-Datei zum Download):